Erfahrungsgeschichte “Die Kraft der Stille”

von | Apr 17, 2022 | Grundlagen der GFK | 0 Kommentare

Hier eine kleine Geschichte aus meinem Familienalltag: Mein Sohn kommt an einem Freitag wütend aus der Grundschule und beschwert sich über die vielen Hausaufgaben, die er am Wochenende zu erledigen hat. Dies ist insofern ungewöhnlich, da ihm die Schulaufgaben in der Regel leicht fallen und er diesbezüglich bisher nie Unmut gezeigt hat. Da ich ihm natürlich helfen mag, springt mein “Lösungs”-Hirn an und möchte am liebsten gleich loslegen und mit ihm die Hausaufgaben anschauen und einen Plan machen, was wir am besten wann erledigen, damit es ihm nicht so viel erscheint und wir alle als Familie noch etwas gemeinsam unternehmen können. Zugleich erinnere ich mich an mein letztes Modul der GFK-Trainerausbildung, in dem wir die Kraft der Empathie kennengelernt haben.

Ich entscheide mich spontan dazu, “nur” zuzuhören und meinem Sohn einen Raum zu geben, in dem er ganz in Ruhe erzählen kann, ohne gleich selbst mit Ideen und Ratschlägen ums Eck zu kommen. So setzen wir uns gemeinsam auf die Couch und er beginnt zu erzählen. Er ist immer noch wütend über diese “Unverschämtheit”. Denn das Wochenende ist doch schließlich zum Ausruhen da. Er erzählt im Detail von den bevorstehenden Hausaufgaben. Es entsteht eine Pause. Ich entscheide mich weiterhin zuzuhören ohne etwas zu sagen. (Was eine große Herausforderung für mich ist und mich gleichzeitig neugierig macht, wo uns das hinführen wird.) Und plötzlich läuft ihm eine Träne über die Wange und er erzählt weiter: “Weißt du was Mama? Eigentlich ist die ganze Schule doof. Ich gehe da gar nicht mehr hin. Alles ist so ungerecht.” Ich merke wie ich unruhig werde und beschwichtigen möchte à la “Ist doch sicher nicht so schlimm!” oder “jetzt übertreibst du aber!” Ich bleibe tapfer und höre ihm weiter zu und nach und nach sprudelt es aus ihm heraus: Er wird seit einigen Wochen von einigen Mitschülern in der Pause beschimpft, einige werden sogar handgreiflich. nun frage ich doch nach, ob er weiß, wie es plötzlich dazu kommt, denn eigentlich war er ein beliebter Schüler und mit allen gut befreundet. Da erzählt er weiter, dass er als Klassensprecher seit einiger Zeit eine neue Aufgabe hat: Wenn der Lehrer nicht im Zimmer ist, soll er die Namen der Mitschüler, die sich nicht an die Regeln halten, an die Tafel schreiben. Ich war fassungslos. Und gleichzeitig so froh, einfach nur zugehört zu haben. Ich bin mir sicher, dass er dieses Thema noch länger mit sich herum geschleppt hätte, wären wir direkt in das Thema Hausaufgaben eingestiegen. 

Das war meine erste Erfahrung und mein erstes magisches Geschenk mit dem “aktiven Zuhören.” Es gibt dem anderen die Möglichkeit und die Zeit, sich mit all seinen Gefühlen zu spüren und tiefer zu tauchen. Manchmal ist das zuerst angesprochene Problem, nicht das eigentliche Problem.

Glücklicherweise konnten wir diese “unsinnige” (Bewertung 😉 ) Aufgabe mit dem Lehrer zeitnah besprechen. Er war sich der Auswirkungen dieser Aufgabe gar nicht bewusst und wirklich dankbar für die Rückmeldung.

 

Aktion:

Wann hast Du jemanden zuletzt einfach nur zugehört? Ohne selbst etwas sagen zu müssen? Probiere es gern einmal aus. Höre einfach nur zu. und versuche zu hören, was den anderen bewegt. Welche Gefühle kannst du heraushören? Worum geht es dem anderen?